Bereits im Juni 1861 beklagte sich das für die Ackerstraße zuständige Polizeirevier über die ungleichmäßige Nummerierung in der Straße:
„Die Nummerierung der Ackerstraße in ihrem verlängerten Teil bedarf notwendig neuer Regelung, denn nicht nur die Häuser des Reviers sind dadurch, daß beispielsweise drei Häuser unter der Nr. 56 existieren in bedeutende Unrichtigkeit dem Reviere überkommen und bedürfen vollständigen Umschreibens; sondern der Verkehr leidet täglich unter der Schwierigkeit jemanden aufzufinden, der in einem dieser Häuser wohnt.“

Die Beamten mussten sich aber noch bis 1866 gedulden, erst dann wurde der neue Nummerierungsplan gültig, der bis heute gilt. Demnach begann die Nummerierung an der Stadtmauer bzw. Thorstraße mit der Nummer 1, lief auf der rechten Seite bis zur Nr. 96 und auf der linken Seite zurück bis zur Nummer 172. Schon damals konnte man die Ackerstraße in drei Teile gliedern: Der erste Teil im ehemaligen Vogtland, also von der Stadtmauer (später von der Verlängerung am Koppenplatz) bis zur Invalidenstraße. Dann der Abschnitt von der Invalidenstraße bis hinter die Friedhöfe, wo dann die Bernauer Straße angelegt wurde. An diesem Abschnitt befindet sich auch die Elisabeth-Kirche. Und der dritte Bereich zwischen der Bernauer Straße über den Gartenplatz bis zu dem Punkt, wo die Ackerstraße auf die Scheringstraße trifft. Alle diese Teile gehörten bis zur Bezirksreform 1920 zum Verwaltungsbezirk Rosenthaler Vorstadt. Der dritte Abschnitt wurde dann dem Wedding zugeschrieben, die beiden ersten dem Bezirk Mitte.
Nach dem Abriss der alten Stadtmauer 1867 begann auch im „unteren“ Bereich der Ackerstraße ein neuer Bauboom, bei dem vor allem zwischen 1873 und 1883 fast alle Gebäude abgerissen und durch die heutige Bebauung ersetzt wurde.
Die festgeschriebenen Bauordnungen wurden damals als Polizeiverordnungen erlassen. Sie beschränkten sich im wesentlichen auf die Normen, die zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung unbedingt notwendig erschienen. Die Baupolizeiordnung vom 22. April 1853, nach der die Bebauung zu erfolgen hatte, sah keinerlei Beschränkungen für die Bebauung der Grundstücksfläche vor. Nur zwei Daten waren vorgegeben:
1.) Die Hinterhöfe mußten mindestens 5,34 x 5,34 Meter (also 28,5 qm) messen, das war der für die Feuerwehrspritzen erforderliche Wendekreis; 2.) Die Gebäudehöhe durfte die Breite der Straße nicht überschreiten. Damit sollte verhindert werden, dass die bei einer Brandkatastrophe einstürzende Fassade des einen Hauses das gegenüberliegende Haus zerstörte.
Seit 1862 galt zusammen mit dieser Bauordnung der „Neue Bebauungsplan für Berlin“, aufgestellt vom Baurat James Hobrecht. Richtmaß für die Baublockgrößen dieses Planes waren die Straßenanlagen der Friedrichstadt zwischen Behrenstraße und Kochstraße, die Ende des 17. Jahrhunderts entstanden waren, je 75 Meter breit und 120 bis 150 Meter lang. Die Bebauung dieser Blöcke bestand aber ursprünglich jeweils nur aus Wohngebäude, Seitengebäude und Stall; das gesamte Blockinnere wurde durch Gärten eingenommen. Die nach 1862 angelegten drei- bis viermal so großen Baublöcke wurden dagegen nicht durch Gärten besetzt oder durch weitere Straßen unterteilt, sondern ohne weitere Aufteilung mit Quergebäuden und Seitenflügeln bebaut, die durch die Bauordnung ja nicht verboten waren.
Im Gegensatz zu der englischen Planung besonderer Arbeiterviertel schrieb man der Mietskaserne in Berlin durch die bewusste soziale Vermischung der Bewohner in Vorder- und Hinterhäusern, Keller-, Dach- und Beletagen-Wohnungen eine gesellschaftliche Wirkung zu. Baurat Hobrecht:
„In der Mietskaserne gehen die Kinder aus den Kellerwohnungen in die Freischule über denselben Hausflur wie diejenigen des Rats oder Kaufmanns, auf dem Wege nach dem Gymnasium. Schusters Wilhelm aus der Mansarde und die alte bettlägerige Frau Schulz im Hinterhaus, deren Tochter durch Nähen oder Putzarbeiten den notdürftigen Lebensunterhalt besorgt, werden in dem ersten Stock bekannte Persönlichkeiten. Hier ist ein Teller Suppe zur Stärkung bei Krankheit, da ein Kleidungsstück, dort die wirksame Hilfe zur Erlangung freien Unterrichts oder dergleichen und alles das, was sich als das Resultat der gemütlichen Beziehungen zwischen den gleichgearteten und wenn auch noch so verschiedenen situierten Bewohner herausstellt, eine Hifle, welche ihren veredelnden Einfluß auf den Geber ausübt. Und zwischen diesen extremen Gesellschaftsklassen bewegen sich die Ärmeren aus dem II. oder IV. Stock, Gesellschaftsklassen von höchster Bedeutung für unser Kulturleben, der Beamte, der Künstler, der Gelehrte, der Lehrer usw., und wirken fördernd, anregend und somit für die Gesellschaft nützlich. Und wäre es fast nur durch ihr Dasein und stummes Beispiel auf diejengen, die neben ihnen und mit ihnen untermischt wohnen.“
Ob der Mann wirklich so naiv war, das zu giauben?
Die zu dieser Zeit gebauten Gebäude folgten den Vorgaben von Baurat Hobrecht, also der gemischten Vermietung an Unternehmen, Beamte und Arbeiter sowie – im Blockinneren – der Ansiedung von Handwerk und Industrie. In der Ackerstraße entstanden in diesen Jahren eine Reihe von Industrie-Betrieben, die allesamt auf den Höfen angesiedelt waren. Oftmals, wie zum Beispiel in der Ackerstr. 14/15, erst auf dem vierten Hof. Dort lebten die Menschen im Vorderhaus oder den ersten Quergebäuden und arbeiteten hinten in den Betrieben.
Im Weddinger Teil der Ackerstraße entstand zur selben Zeit ein Gebäudekomplex, der als größte Mietskaserne Berlins bekannt wurde:
„Meyer’s Hof“ hatte sechs (!) Höfe und beherbergte über tausend Menschen sowie mehrere Betriebe. Meyer’s Hof wird in diesem Buch in einem eigenen Kapitel ausführlich behandelt.
Neben Fabriken und Werkstätten entstanden im „unteren“ Teil der Straße auch zwei Ballhäuser bzw. Festsäle, außerdem ein Betriebshof für die Pferdebahn auf dem Gelände der Ackerstraße 3. Und um den schlechten Ruf der Straße zu retten, wurden schließlich zwischen der Thorstraße und Invalidenstraße noch fünf Kneipen und mehrere kleine Bordelle eröffnet.

Bis 1870 gab es an der Kreuzung Ackerstraße Ecke Invalidenstraße auch einen Markt unter freiem Himmel. Doch mit der Neubebauung der Ackerstraße wurde in dem südöstlichen Block eine große Markthalle eingerichtet, wie sie zu dieser Zeit in Berlin an mehreren Stellen gebaut wurden. Die „Ackerhalle“ hieß Markthalle VI und lag lediglich mit ihren zwei Eingangsbereichen an der Acker- bzw. Invalidenstraße, die Halle selbst lag im Blockinneren. Die zur Straße gelegenen Gebäude waren gleichzeitig auch noch bewohnt. Heute beherbergt die Ackerhalle keinen Markt mehr, sondern ist eine große Kaufhalle.
Im selbenJahr ist auch der dreieckige Platz angelegt worden, der von der Invalidenstraße, der Ackerstraße und der „Kleinen Ackerstraße“ (später Elisabethkirchstraße) mit der Mauer zum Sophienfriedhof begrenzt wurde. Nach seiner Bepflanzung erhielt er den Namen Pappelplatz. Mitten auf dem Platz steht seitdem ein Brunnen mit der Skulptur des „Erbsenzählers“. Für diesen Kerl hat sich aber schnell der Name „Geldzähler“ eingebürgert.

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