Die WM verändert Berlin

Ich gebe zu, auch ich gehörte zu denjenigen, die die Fußball-Weltmeisterschaft mit gemischten Gefühlen erwartet haben. Und alle Befürchtungen wurden auch bestätigt: Verstopfte Straßen, eine schwarz-rote-goldene Fahnenflut, gröhlende Germanenhorden. Andererseits sehe ich jetzt auch die guten Seiten. In Berlin herrscht derzeit eine Stimmung, wie ich sie hier noch nie erlebt habe. Es ist eine friedliche und positive Atmosphäre, ein wirkliches Miteinander der Kulturen und Nationalitäten, diesmal nicht als platter Propagandabegriff, sondern Wirklichkeit.

Man merkt, dass Sport die Menschen zusammenbringen kann, dass man zusammen feiern kann, auch wenn man unterschiedlichen Mannschaften zujubelt.
Als Taxifahrer freuen mich besonders die höheren Umsätze, die es aber nur gibt, wenn in Berlin gespielt wird. Abends fahren die Fans zu den vielen Festen, Columbiahalle, Kulturbrauerei, Straßenparties. Nachts müssen sie in ihre Hotels, in Berlin, im Umland, teilweise 50 km weit weg.
Gestern Abend, kurz nach dem deutschen Sieg gegen Polen, fuhr ich am neuen Hauptbahnhof vor. Mehrere tausend Feiernde zogen von der Fanmeile zum Bahnhof, singend, schreiend, ausgelassen, übermütig. Es herrschte eine fröhliche Stimmung, aber wenn Massen einen „Sieg“ feiern, dann hat es auch immer was Bedrohliches. Wie schnell die Stimmung umschlagen kann, kam zur selben Zeit im Radio. Als die Polizei in Dortmund gegen randalierende Hooligans vorgingen, beteiligten sich plötzlich auch normale Fußballfans an den Auseinandersetzungen. Die aufgeheizte Atmosphäre stachelte sie offenbar an, es gab über 400 Verhaftungen. Die an meinem Taxi vorbeiziehenden Fans waren unerträglich laut, manche klopften mit der Hand auf das Autodach.

Insgesamt aber ist es im Moment ganz schön, in Berlin zu sein. Man gewöhnt sich sehr schnell an Ausnahmesituationen wie gesperrte Hauptverkehrsstraßen und massive Polizeipräsenz. Da das alles jedoch unter einem positiven Vorzeichen stattfindet und man täglich in hunderte und tausende lachende Gesichter schaut, ist es alles nicht so schlimm. Und schön sind auch manche Gespräche mit Fans aus Brasilien, Spanien, der Schweiz oder Schweden. Die Fahrt mit den fünf dicken Kroaten, die den Opel Zafira fast in die Knie gezwungen haben, war sehr lustig. Der etwa 10-jährige Hamburger Junge, der seinen polnischen Vater getröstet hat und total happy war (auch weil er so lange aufbleiben durfte), die sechs süßen Studenten aus Texas, die völlig übermüdeten Portugiesen, die mir nach Ankunft in ihrem Hotel in Zossen applaudierten – sie sind eine schöne Abwechslung im Taxifahrer-Dasein und sie bereichern unsere Stadt.

Und noch etwas ist neu: In Kreuzberg, Neukölln oder Wedding dominieren zwar weiterhin die Türken und Araber auf der Straße – aber plötzlich schwenken sie die Deutschland-Fahne, nicht die rote mit dem Halbmond. Sehr viele hier lebenden Ausländer feierten gestern auf den Straßen und fuhren in den Jubel-Konvois mit. Sie identifizieren sich vielleicht nicht so mit der deutschen Mannschaft, wie sie es mit der türkischen tun würden. Aber sie sind lautstark dabei und die meisten von ihnen sich das erste Mal mit einer Deutschland-Flagge. Dafür sieht man auch viele Deutsche, deren Favorit offenbar Brasilien ist. Es ist alles zusammen ein schönes Bild. Wenn ich an die Zeit nach der WM denke, werde ich schon ein bisschen wehmütig. Aber bis dahin will ich die größte Party genießen, die Berlin bisher erlebt hat.

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