Mord oder Unfall?

Meine Fahrgästin machte anfangs einen recht harmlosen Eindruck. Aber man weiß ja spätestens seit Angela Merkel, dass man bei Frauen im Hosenanzug auf alles gefasst sein muss. Sie flötete „Zum Kaiserdamm, bitte“, und widmete sich dann wieder ihrem Handy. Meistens kriege ich die Gespräche meiner Kunden gar nicht so genau mit, es wird mehr oder weniger ausgeblendet, alles schon zigmal gehört und nur mäßig interessant. Diesmal aber wurde ich schon stutzig:
„Sie haben sich ja nie richtig vertragen. Alle beide waren schon vorher immer Streithähne, aber so schlimm wie Silvester war es noch nie. Wahrscheinlich wegen dem ganzen Stress oder so, jedenfalls sind sie in der Nacht dann irgendwann richtig aufeinander los. Sie hat ihn getreten und sogar gebissen, aber er hat sich genauso brutal gewehrt. Als wir schlafen gegangen sind, waren sie aber wieder friedlich. Er hatte aber wohl schon was abbekommen.
Tja, und am Morgen dann der Schock. Als wir ins Zimmer kamen, lag er tot am Boden. Wir wissen aber nicht, ob das was mit der Prügelei zu tun hatte oder ob er an etwas anderem gestorben ist. Und sie saß völlig unbeteiligt daneben.“
Meine Ohren waren mittlerweile gespitzt, solch ein Krimi wird einem ja nicht jeden Tag geliefert. Während die Dame ihrem Gesprächspartner lauschte, überlegte ich, ob ich von dem Vorfall was in der Zeitung gelesen hatte.
„Ja, wir haben ihn wirklich geliebt, ich vermisse ihn schon jetzt.“

Nachdem sie aufgelegt hat, sagte ich zu ihr: „Das hört sich ja ganz schön schlimm an.“
„Ja, das ist es auch, aber was soll man machen. Manche Kaninchen kommen einfach nicht miteinander klar.“
„Kaninchen?“
„Ja. Dachten Sie etwa…?“
Nach einer Sekunde Ruhe mussten wir beide gleichzeitig loslachen.
Manche Missverständnisse haben einen großen Unterhaltungswert.

(Dieser Text erschien ursprünglich im Taxi-Weblog von Berlin Street)

print

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*