Würde des Amtes?

Wieso wird eigentlich gerade so ein Wirbel um Christian Wulff gemacht? Die Vorwürfe gegen ihn mögen ja richtig sein und sicher hat er sich auch moralisch fragwürdig verhalten – aber ist das wirklich was Außergewöhnliches? Wulff war immerhin Mitglied des berüchtigten Andenpakts, einem einstigen Netzwerk karrieregeiler CDU-Männer, die sich miteinander nach oben pushen wollten; ähnlich wie die Jungs im Film „American Pie“, die sich gegenseitig dabei unterstützen, um zum ersten Mal Sex mit einer Frau zu haben. Wulff kommt genau aus dieser Politikerkaste, die für die Politikverdrossenheit bei vielen Bürgern verantwortlich ist: Nur die eigenen Interessen im Kopf, die eigene Meinung wird taktisch angepasst, ansonsten will man vor allem glatt und geschniegelt erscheinen.

Wer hatte denn erwartet, dass Christian Wulff eine weiße Weste hat, bloß weil er plötzlich Bundespräsident ist? Und wieso werden die Präsidenten in Deutschland eigentlich so überhöht?
Sicher schwingt da noch immer der geheime Wunsch mit, noch mal einen König zu haben. Also so einen richtigen, wie die Engländer mit ihrer Queen, nicht so ein Plagiat wie von und zu Guttenberg. Spätestens seit Richard von Weizsäcker wird von den Präsis eine oberirdische Aura verlangt. Dabei war selbst Weizsäcker kein Heiliger: Immerhin war er es, der 1981 als Regierender Bürgermeister von Berlin der Hausbesetzerbewegung den Dialog verweigerte und stattdessen auf Konfrontation setzte. Dafür setzte er als Kettenhund den NPD-Unterstützer Heinrich Lummer ein, der bei der Niederschlagung der Bewegung sogar Tote in Kauf nahm, ohne dass Weizsäcker daraus Konsequenzen zog.

Schlimmer waren aber einige seiner Vorgänger als Bundespräsident: Theodor Heuss hatte einst seine Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz gegeben, obwohl er Minuten vorher noch seine Ablehnung angekündigt hatte. Heinrich Lübke war am Entwurf von Konzentrationslagern beteiligt, Walter Scheel war NSDAP-Mitglied, wie auch sein Nachfolger Karl Carstens, der zusätzlich in der SA aktiv war.
Nur Gustav Heinemann hatte als Mitglied der Bekennende Kirche keine braune Weste.

Schon Horst Köhler hat gezeigt, dass die deutschen Präsidenten keine Vorbilder sein müssen. Als einstigem Direktor des Internationalen Währungsfonds hat man ihm so manche Äußerung eh nicht geglaubt, wie seine Bezeichnung der Finanzmärkte als Monster. Nachdem er in einem Interview militärischer Einsätze verteidigt hat, „um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege“, gab es reichlich Kritik, auf die er wenig souverän mit schmollendem Rücktritt  reagierte. Anstatt zuzugeben, dass er keinen Bock auf Kritik an seinen Äußerungen hat, behauptete er, den „notwendigen Respekt vor dem höchsten Staatsamt“ zu vermissen. Sehr vorbildlich…

Und nun eiert Christian Wulff herum. Vielleicht sind die Vorwürfe gegen ihn ja auch lächerlich, aber sich tagelang zu verstecken und dann erstmal seinen Sprecher rauszuschmeißen, der ja nun wirklich nichts dafür kann, ist unterste Schublade. Und nun bedauert er, ohne wirklich aufzuklären und täglich kommen neue Einzelheiten ans Licht. Aber er wird sicher nicht zurücktreten. Schließlich kann in seiner politischen Karriere nach diesem Amt sowieso nichts mehr Interessantes kommen. Und die „Würde des Amtes“ kann durch ihn eh nicht beschädigt werden – denn die gibt es nicht.

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6 Kommentare

  1. Gut recherchiert. Der Pressesprecher war bekannt als sein Einflüsterer. Da der Herr Wulff eh eine Null ist, hat er eben seinen langjährigen Pressesprecher entlassen um zu zeigen, dass er etwas macht. Wie armselig.

  2. Ich hege da noch einen anderen Verdacht: der Umgang mit dem Amt und der Umgang mit dem Volk wird auf eine neue Ebene bewegt, ich schreibe hier ganz bewust bewegt und nicht gehoben, die Kernaussage lautet doch, es geht euch einen Scheiß an, kümmert euch um eure eigene Armut. Nun vermute ich mal, dass uns in der Zukunft noch das eine oder andere Unangenehme ins Haus steht, da stehen dann Entscheidungen an, die haben mit Moral nur noch wenig zu tun. Brauns „Rücktritt“ war eine herbe Niederlage christlich humanistisch orientierter Politik, Wulffs Durchhaltewille ist ein dammbrechender Sieg „christlich“ „demokratischer“ Volksführung.

  3. „Das Versagen von Eliten bedroht langfristig den Zusammenhalt in der Gemeinschaft, in der Gesellschaft. Wer sich zur Elite zählt und Verantwortung trägt, darf sich eben auch nicht in eine eigene abgehobene Parallelwelt verabschieden“, sagte Herr Wulff am 24. August 2011 vor Wirtschaftsnobelpreisträgern in Lindau.

  4. Es ist denen da oben doch schon lange egal was wir denken. Glaubt hier wirklich noch jemand, dass diese Vorgehensweise jetzt auf einmal neu ist?
    So lange ich zurückdenken kann, und das sind jetzt so ca. 25 Jahre politisches Verfolgen, kommt immer wieder einmal ein kleines oder auch großes Velverhalten ans Tageslicht, aber dies ist nur die Spitze des Eisberges …

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