Verkehrsopfer

Immer wenn jemand von der israelischen, russischen oder us-amerikanischen Regierung in Berlin ist, werden den Autofahrern im Innenstadtbereich gute Nerven abverlangt. Die Budapester Straße ist dann gesperrt, weil dort das Hotel mit der extra gesicherten Präsidentensuite steht. Immer wenn der Staatsgast irgendwo hin fährt, werden zeitweise schon zehn Minuten vorher alle Straßen auf dem Weg gesperrt. Und der Gast hat natürlich viele Wege. Schloss Bellevue, Kanzleramt, Restaurant, Oper, Botschaft – die Liste ist lang. Zehntausende Autofahrer sind davon betroffen und nicht jeder bringt die nötige Geduld mit.

Wie die Dame in ihrem silbernen BMW-Sportwagen, die als zweite vor der roten Ampel stand, ich mit meinem Taxi direkt neben ihr. Nach ein paar Minuten Warten fuchtelte sie mit den Armen, blickte ständig um sich, sie war ein totales Nervenbündel. Als sie sah, wie ich sie beobachtete, schrie sie irgend was zu mir herüber. Ich öffnete das Fenster, sie ihres aber nicht. Trotzdem brüllte sie weiter, so laut dass ich ihre Stimme durch’s geschlossene Fenster hörte. Plötzlich fing sie an zu hupen, immer wieder, dann Dauerton. Es hätte mich nicht gewundert, wenn sie jetzt einen Herzschlag bekommen hätte.
Nach einer weiteren Minute stieg sie aus, ich freute mich schon auf das spannende Programm, das mir nun geboten würde. Sie ging zu dem vor ihr stehenden Auto, sprach mit dem Fahrer und fing plötzlich wieder wie wild an zu schreien. Ich befürchtete schon, dass sie ihre Show auch noch bei mir abziehen würde, als ein Polizeimotorrad mit Blaulicht ankam und sich quer zu uns vor die Kreuzung stellte. Sie lief sofort zu dem Fahrer und wieder hörte ich ihr Geschrei. Ich weiß nicht, was er ihr sagte, aber dann hörte ich seinen sehr lauten, entschlossenen Satz: „IST DAS KLAR?“
Leise trottete sie zurück zu ihrem Auto, sie hatte aufgegeben. Sie beobachtete still die Kolonne der schwarzen Autos, die Blaulichter zuckten, sie aber war jetzt die Ruhe selbst. Als die Ampel auf Grün schaltete, fuhr die Frau langsam los. Eine gebrochene Seele, zerstört von der harten Realität auf den Berliner Straßen.

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4 Kommentare

  1. Ganz spontan wollte ich eigentlich sagen: „Die Arme!“ Aber vielleicht ist sie eine Gewinnerin, weil sie endlich zu Verstand gekommen ist, weil ihr der Text aus der Feder von Johann Strauß in den Sinn kam: „Glücklich ist, wer vergißt, was nicht mehr zu änden ist!“

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