Leergetrunken

Funkauftrag in Treptow, kurz vor Mitternacht, schon nach drei Minuten stand ich mit dem Taxi vor dem Haus. Es dauerte nochmal vier, bis im Treppenhaus das Licht anging, zwei Minuten später öffnete sich die Tür: Zwei alte Leute kamen angeschlichen, beide auf Stöcken gestützt. Die Gesichter der Zwei sagten mir, dass dies eine unangenehme Fahrt werden könnte. Aber erstmal half ich ihnen beim Einsteigen und dann ging es nach Schöneweide. Der Man saß vorn und erzählte die ganze Zeit. Dass sie eigentlich aus West-Berlin stammen, aus Neukölln, und in ihrem Treptower Wohnhaus deswegen gemobbt werden. Dass er bis vor einem Jahr prima laufen konnte. Dass sie beide schon Mitte Achtzig seien und nun den Rest ihrer Tage wenigstens Spaß haben wollen. Was er darunter versteht, sagte er auch: „Jeden Tag ein paar Schnäpse und abends in die Kneipe.“ Er versuchte mir auf der glücklicherweise recht kurzen Fahrt jede Form von Alkohol schmackhaft zu machen. Dass ich nicht trinke, konnte er überhaupt nicht verstehen. Mittlerweile hatte sich im Auto ein feiner Urinduft ausgebreitet. Von hinten lallte seine Frau immer wieder dazwischen, dass er mich doch mal in Ruhe lassen solle.

An der Kneipe angekommen, kam sofort der Wirt raus und wimmelte uns ab: „Wir haben schon geschlossen!“ Das stimmte nicht, innen sah man noch an mehreren Tischen Leute sitzen. Also ging es zum nächsten Lokal. „Das ist ein Türke, aber ein Lieber. Der schmeißt uns nicht raus!“
Auf der Fahrt dorthin erzählte der Mann, dass sie ja keine Freude mehr im Leben haben, wenigstens der Alkohol ist für sie da. Alle Freunde und die Familie haben sich abgewandt. Eigentlich hatte ich keine Lust mehr auf ein Gespräch, trotzdem konnte ich mir die Antwort darauf nicht verkneifen, dass das vielleicht die Reaktion auf das Trinken sei. „Nein, die waren schon immer Scheiße, auch vorher!“
Ich war froh, als wir die nächste Kneipe erreichten und sie dort auch aufgenommen wurden.

Nach dem Ausladen ging’s zur nächsten Tanke, gleich um die Ecke, um die Sitze abzuwischen. In den Minuten danach fuhr ich mit offenem Fenster und machte mir Gedanken über das Paar. Sie widerten mich an, ich kann mit solchen Alkis einfach nicht umgehen, bin da schon vorbelastet.
Natürlich taten sie mir aber auch leid, weil sie nun wirklich nichts mehr vom Leben haben. Ihnen ist das ja auch bewusst, aber sie werden es wohl nicht mehr ändern.

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