Nachts am Zoo

Der Bahnhof Zoo hat nicht gewonnen. Nachdem er 2006 vom Haupt- zum Regionalbahnhof degradiert wurde, ist er nicht schicker geworden.
Früher stand ich oft hier mit dem Taxi. Nachts, wenn keine Pelzträgerinnen mehr zu erwarten waren, fielen die anderen umso mehr auf. Diejenigen, denen die Armut ins Gesicht geschrieben steht, meist mager oder besonders dick, die Klamotten nicht von H&M, sondern aus der Bahnhofsmission.
Schon als ich vor sehr vielen Jahren zum Anschaffen auf der Rückseite des Bahnhofs stand, waren sie da. Alkis, Junkies, Gestrandete, ohne Zukunft. Bis heute.
Wer ganz vorn in der Taxireihe steht, ist ihnen am nächsten. Das Schild „Tours – Englisch“ dient ihnen als Stütze. In einer kleinen Traube stehen sie da, die Bierflaschen in der Hand, am Boden liegt der Hund und gähnt.
Sie ist laut, aus fünf Metern Entfernung versteht man jedes Wort. Über Chantal lästert sie, die „alte Fotze“, und über Daniel, der so blöd ist, mit ihr zusammen zu sein. Die Frau schreit ständig, sie ist völlig betrunken, wankt, hält sich am Schild fest. Die anderen sind der gleichen Meinung.
Ein langer, dürrer Mann kommt dazu, der Parka ist voll mit dunklen Flecken, auch auf dem Gesicht ist Blut. Aber er lacht.
„Was haste gemacht, Matze?“, fragt der Jüngste von ihnen, der höchstens 17 Jahre alt ist.
„Nüscht. Hab Harald getroffen.“
Alle lachen, auch Matze, offenbar haben sie einen gemeinsamen Feind. Und noch einen, der kommt als Zweiergrüppchen dazu, in dunkelblauen Uniformen. Die beiden sprechen leise, als wollten sie nicht stören. Gegen die Lautstärke der anderen haben sie keine Chance. Und wohl auch keine Lust. Ein kurzes Gespräch, „bitte etwas leiser“! Dann ziehen sie weiter, die Gruppe grüßt ihnen noch hinterher, man kennt sich.

Im hellen Bahnhofsausgang steht ein älterer Mann in feinem, ockerfarbenen Mantel und mit Schal um den Hals. Er schaut zu mir, dann zu der Gruppe. Wenn er in mein Taxi will, muss er an denen vorbei. Man spürt seine Angst, dann aber kommt er mutig näher und steigt schnell ein, es ist nichts passiert.
„Arm aber unsexy“, sind seine ersten Worte im Auto. „Der eine hatte nicht mal mehr Zähne“, giftete er, während wir losfuhren. Mir war klar, dass er sich ein gemeinsames Hetzen gegen Obdachlose erhoffte.
„Ja, das sind schon arme Menschen“, antwortete ich.
Der Rest der Tour war Schweigen.

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2 Kommentare

  1. Das Schweigen kenne ich gut. Ist nicht unbedingt schön und versaut einem manches Mal das Trinkgeld, aber danach geht es einem doch irgendwie besser.
    Manchmal erzähle ich auch den Leuten, die so froh sind, „endlich mal einen deutschen Taxifahrer“ zu haben, was mein arabischer Kollege die Woche so alles lustiges erlebt hat.
    Wenn es einmal hilft, war es das wert!

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