Gewalt und Gegengewalt

Noch heute, rund 20 Jahre später, sehe ich die Gesichter vor mir. Die voller Hass und die voller Angst. Zehn Jahre lang war ich Mitglied der autonomen Antifa, von Mitte der 80er in West-Berlin bis Mitte der 90er in der wiedervereinigten Stadt. In dieser Zeit habe ich an zahlreichen „antifaschistischen Aktionen“ teilgenommen, darunter auch etliche gewalttätige. Und Gewalt war oft ein Thema. Sie gehörte als Teil unserer politischen Arbeit selbstverständlich dazu. Ich war keiner von denen, die auf jeden Rechten drauf schlugen, egal ob er von der NPD oder der Jungen Union war. Aber distanziert habe ich mich von den prügelnden „Genossen“ auch nicht.

Bis heute habe ich Situationen vor Augen, bei denen Rechtsradikale übelst verletzt wurden. Am Alexanderplatz wurde sogar ein 18-Jähriger totgeschlagen, während ich mich nebenan mit jungen Naziskins prügelte. Immer wenn es hieß „Die Nazis kommen!“ fuhren wir los, innerhalb Berlins und ab 1990 auch ins Umland. Gerade in Brandenburg waren linke oder unpolitische Jugendliche oft froh, wenn die Antifa aus Berlin kam. Sie hatten dort viel Ärger mit Neonazis, Kameradschaften, Nationalistische Front, Skinheads, Nazirocker. Oft reichte es schon, wenn wir massiv Präsenz zeigten. Die Tücher über den Gesichtern, die kurzen Knüppel so unter der Jacke versteckt, dass sie sich deutlich abzeichneten. Mehr als einmal habe ich aber auch bemerkt, dass manche uns für die Faschisten hielten, aufgrund dieses martialischen Auftretens.
Wenn sich dann wirklich einzelne Nazis heran wagten, gab es immer den gleichen Ablauf. Einige von uns schnitten ihnen den Rückweg ab und dann prügelten alle auf sie ein. Dabei wurde keine Rücksicht mehr genommen, bis heute wundert es mich, dass so wenig Rechtsradikale bei solchen Aktionen ums Leben kamen. Schwere Verletzungen gab es aber zuhauf. Aufgeplatzte Kopfhaut, gebrochene Arme, Rippen und Nasen waren normal. Ich weiß aber auch, dass manche von denen danach nie wieder ein normales Leben führen konnten, weil die Verletzungen zu schwer waren.

Klar, wir wussten ja, mit wem wir es zu tun hatten. Die Faschisten sind selber nicht anderes mit ihren Gegnern umgegangen und bei Gelegenheit hätten sie uns genauso zugerichtet. Wer in eine solche Auseinandersetzung geht, muss auch in der Lage sein, sich körperlich zur Wehr zu setzen. Und Neonazis Angst zu machen, ist ja auch nicht so falsch.
Andererseits sind wir oft als die Aggressoren aufgetreten, die nach außen genauso abstoßend gewirkt haben, wie die Rechten. Oft wurden auch keine Unterschiede gemacht zwischen Neonazi-Schlägern und jungen Mitläufern – alles war rechts, alles war schlecht und musste deshalb genauso behandelt werden.

Wenn wir unsere eigenen Veranstaltungen, Konzerte, Demos geschützt haben, hatten wir auch immer unauffällige Wachen in Autos und auf Fahrrädern unterwegs. Knüppel und Pyropistolen wurden vorher schon in Kofferräumen oder Kellern gebunkert, so dass wir notfalls auch durch eine Polizeikontrolle gehen konnten.
Manchmal wurden aber auch Kundgebungen oder Versammlungen der Rechtsextremisten angegriffen. Dann waren wir normalerweile bis oben hin bewaffnet, zumal wir wussten, dass sie meist auch gut ausgerüstet waren. Oft wurde dann mit Tricks gearbeitet. Wir konnten einzelne von denen rauslocken und verprügeln, verschleierten unsere wirkliche Anzahl und wenn dann zehn von ihnen losstürmten, standen sie plötzlich 50 Leuten gegenüber. In diesen Situationen haben wir immer gewonnen, die meisten waren einfach schlauer und brutaler als die Faschisten. Es gab selten solche Aktionen, bei denen danach keine Krankenwagen kommen mussten.

Dabei ging es ja auch anders. Als ein Freund von mir in der Schule von Jungfaschos bedroht wurde, warteten wir dort und provozierten ihn. Der rannte mit seinen Freunden auf uns los, aber wir waren vorbereitet und warfen zwei von ihnen in einen Müllcontainer. Den Anführer bedrohten wir so massiv, dass er sich einpinkelte und so schickten wir ihn zurück über den Schulhof. An diesem Tag wurde kein einziger Schlag ausgeteilt und seitdem war dort auch Ruhe.
Leider eskalierten aber die Antifa-Aktionen immer wieder. Am Schlimmsten fand ich, als einige Leute ein Treffen der „Republikaner“ in Neukölln überfielen und dabei jemand einem Rechten ein Messer in den Rücken stieß. Es war ein älterer Mann, kein Schläger, es war ganz sicher keine Notwehraktion. Der Täter wurde später verurteilt, aber bei mir war damit eine Grenze überschritten. Die Solidaritätsaktion zu dessen Unterstützung habe ich noch mitgetragen, doch innerlich hatte ich mich schon verabschiedet. Als ich dann in Diskussionen die Gewalt in Frage stellte und mit der von Neonazis verglich, war Schluss. Plötzlich war ich ein Verräter.
Heute kann ich gar nicht mehr nachvollziehen, wieso ich so lange geschwiegen habe. Gewalt hat mich ja schon immer abgestoßen, aber ich hatte mir gesagt, dass sie eben manchmal sein muss. Vielleicht stimmt das auch, aber dann nicht in dieser Form, wie ich sie damals oft erlebt habe.

Wer heute auf den einschlägigen Websites sucht, findet dutzende Berichte über solche Aktionen. Die Gewalt regiert noch immer und offenbar breiter als damals. Ich bin froh, dass ich nicht mehr dazu gehöre.

ANDI 80

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12 Kommentare

  1. Eine bemerkenswerte und sehr ehrliche Stellungnahme. Man wünschte sich mehr davon, auch von anderen, für die Gewalt eine tagtägliche Verhaltensweise war oder ist. Wie kann es nur dazu kommen? Was haben wir (die Eltern, die Gesellschaft) falsch gemacht, dass solche Abartigkeiten sich konnten entwickeln? Ist es die gleiche Frage, die sich die Nachkriegsgeneration stellen musste (oder hätte stellen sollen), wie konnten wir das geschehen lassen? Es ist für mich unfassbar, dass solches gestern und heute möglich war und ist und von der schweigenden hedonistischen Mehrheit als Randnotiz in der Zeitung abgehakt wird. Ich hoffe, dass eine Generation heranwächst, die anders ist und die Gewalt in keiner Form mehr toleriert.

  2. LOL. Ist dir das nicht peinlich, wenn du rumlügen willst und dann mit peinlichen Fehlern wie „Mitglied der autonomen“ zeigst das es nicht stimmt?

    Übrigens wird seit Jahren eine „Militanzdebatte“ geführt, Tote gehen natürlich generell auf garkeinen Fall. Das währe der zweite Punkt an dem du verrätst das es ausgedacht ist.

    Aber interessant wie du diesen Beitrag nach einem Nazibrandanschlag in der Nacht auf Mittwoch auf ein Kreuzberger Wohnhaus bringst…

    Übrigens: Das Foto ist von einem Naziangriff mit Messern, Gaspistolen und anderem auf einen linke Ultragruppe in Russland. Linke Gewalt undso, ihr wisst schon -.-

  3. @Martin
    Nur weil es dir nicht gefällt, ist es nicht ausgedacht, sorry. Aber ich kenne das: Was einem nicht passt, wird diffamiert, in welche Richtung auch immer.

    Was allerdings der Anschlag auf das M99 damit zu tun hat, verstehe ich nun gar nicht.

  4. Du kannst doch nicht ernsthaft behaupten das das nicht ausgedacht sei, es gibt keine Mitgliedschaften irgendwo, genau sowenig wie Anführer. Das Tote ein absolutes tabu sind sollte auch allgemein bekannt sein. Es kann ja sein das du dich einmal in solchen strukturen bewegt hast, dein Text scheint aber inzwischen ziemlich von Medienberichten beeinflusst…

    Was das mit dem Nazibrandanschlag am Mittwoch zu tun hat? Das nur durch viel glück keine Menschen gestorben sind da ein Anwohner das Feuer am Wohnhaus schnell entdeckte. (Querschnittsgelähmter Ladenbesitzer war zur Tatzeit im Keller) „Die Gewalt regiert noch immer und offenbar breiter als damals. Ich bin froh, dass ich nicht mehr dazu gehöre.“

    Und möchtest du vielleicht erklären was dieses Bild dort zu suchen hat? Oder auf welchen „einschlägigen websiten“ du was genau findest?

  5. Wenn du meinen Text genauer lesen würdest, müsstest du mir nichts widerlegen, das ich nicht geschrieben habe. Dass die Autonomen keine Organisation ist, ist mir durchaus klar :-)

    Im Übrigen brauche ich dir überhaupt nicht zu erklären, was Bilder irgendwo „zu suchen haben“.

    Und: Ja, ich bin sehr froh, nicht mehr dazu zu gehören. Genau eben wegen solcher Leute wie du offenbar einer bist. Das ist auch einer der Gründe, wieso ich z.B. mit HG nichts mehr zu tun habe, den ich seit fast 30 Jahren kenne, lange bevor er gesprungen ist.

    Eure Arroganz, euer autoritäres und selbstgefälliges Gehabe ist nur noch ekelhaft.

  6. Hallo Aro!
    Wieder Ärger mit Deinen Ex? ;)
    Aber Recht hast Du, mich kotzt das genauso an. Die Autonomendemos sehen aus wie Naziaufmärsche, sogar die Parolen gleichen sich. Aber solange Leute wie Schulz (BM in Kreuzberg) und Ströbele ihre schützende Hand über diese Typen halten, dürfen sie sich austoben, so wie verzogene Kinder. Und wahrscheinlich sind sie auch genau das. Ha, ha :)

  7. „Man könnte es auch Zensur nennen.“
    Ja, ja. „Zensur“ ist es, wenn deine Meinung nicht veröffentlicht wird, aber andere dürfen ihre nicht bekanntmachen, richtig?
    Halte dich einfach an die Vorgaben, dann wird der Kommentar auch veröffentlicht.

  8. „Am Alexanderplatz wurde sogar ein 18-Jähriger totgeschlagen“
    „und dabei jemand einem Rechten ein Messer in den Rücken stieß“

    Trotz Recherche habe ich keinerlei Artikel/Berichte gefunden, die diese Aussagen stützen würden. Kannst du Quellen nennen?

  9. @ Robert

    Was den Jungen betrifft, weiß nur noch, dass am nächsten Tag ein Foto von ihm in der Zeitung war. Er war blond, kurzhaarig und stammte aus Dresden. Ich hatte es selber nicht mitgekriegt, weiß aber noch, dass es eine Auseinandersetzung war, an der beide Seiten keine Gnade gezeigt haben.

    Was den Mord an dem Republikaner betrifft:
    http://de.wikipedia.org/wiki/Gerhard_Kaindl

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