Am Marriott

Es gibt Orte in Berlin, die besonders edel sind, da zeigt sich die High Society gerne. Es sind vor allem Villen und Hotels, die mit manchmal nur aufgemaltem Marmor protzen und sich als besonders schick präsentieren. Aber wir sind hier in Berlin und uns Eingeborenen fehlt doch oft die erwartete Ehrfurcht vor den Schönen und Reichen.
Sommerferien, nachts um 1 Uhr stehe ich mit meine Taxi bei 24 Grad am Hotel Marriott, nahe dem Potsdamer Platz. Vor mir der Inge-Beisheim-Platz ist schon so ein Schnepfenkandidat: Privatbesitz, der alte Beisheim vom Metro-Saturn-Real-Kaufhof-Konzern hat das alles hier gekauft und errichten lassen, mit Marriott und Ritz-Carlton, sauteuren Büros und Millionen-Euro-Appartements. In der Mitte plätschert ein flacher Brunnen vor sich hin, als Erinnerung an die verblichene Namensgeberin des Platzes. Moderne Kandelaber säumen den Ort, aus den Laternen an den Hauswänden säuselt schwaches Licht wie das Wasser im Brunnen. Vor dem Marriott steht ein Diener, Doorman, um eventuell noch ankommende Besucher zu empfangen oder alleinreisenden männlichen Gästen Adressen zuzustecken, bei denen sie sich noch gepflegt verwöhnen lassen können.
Wer als erster Kutscher vorne steht, muss den Doorman immer im Blick haben, denn wenn er winkt, sollte es schnell gehen: Handzeichen zurück, Motor starten, Scheinwerfer an, Fenster zu, Klimaanlage an. Während man um die Ecke zum Hotel rollt, wird schon die Innenbeleuchtung angeschaltet, gleichzeitig schnallt man sich an, der Funk wird leiser und das Radio auf den Jazzsender umgestellt. Stehen mehr als zwei Fahrgäste da, muss auch noch der Vordersitz etwas zurückgeschoben werden. Aber im Moment winkt der Doorman ja nicht, also hab ich noch Zeit, die Gegend zu beobachten.
Nachts kommen nur noch selten versprengte Touristen hier durch, auch in der „coffee bar“ gegenüber sitzt niemand mehr. Die sich über zwei Stockwerke erstreckende silberne Skulptur in der Brunnenmitte und der ebenfalls komplett silberne Buddy-Bär am Hoteleingang sind die einzigen Bewohner des Platzes, die sich noch draußen aufhalten. Nachts kommt der Inge-Beisheim-Platz fast zur Ruhe, seine dürren Bäumchen wackeln ein bisschen mit den Zweigen, der Doorman ist verschwunden, wahrscheinlich trinkt er drinnen einen Kaffee. Plötzlich poltert es, knallt: Ein etwa 16-jähriger Junge rollt mit seinem Skateboard auf den Platz. Lärmend dreht er einige Runden um den Brunnen, ignoriert die gediegene Ruhe des Ortes und das Schlafbedürfnis der Gäste im teuren Hotel. Dann fährt er weiter, direkt an mir vorbei und sieht mein Lachen: „Guten Morgen“ grüßt er beim Vorbeirauschen und lacht auch. Jepp, ich bin in Berlin.

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