Baum & Zeit

Als ein Freund mir erzählte, dass er mit mir zum Baumkronenpfad nach Beelitz möchte, war ich nicht ganz so begeistert. „Ist vielleicht ganz nett“, dachte ich, mehr nicht. Aber das war ein Irrtum.
Als wir am späten Nachmittag mit dem Auto ankamen, war der Parkplatz sehr voll. Auf dem Gelände selbst verlief sich das aber.

Schwer zu sagen, was das Highlight ist: Die Ruinen der einstigen Lungenheilanstalt Beelitz oder der eigentliche Pfad? Denn allein schon das großzügige Gelände der Anstalt ist eine Attraktion. Die meisten Gebäude sind beschädigt. Manche sind Ruinen, nach dem Krieg nicht mehr aufgebaut. Andere wurden von der Sowjetischen Armee wiederhergestellt und als größtes Militärkrankenhaus der DDR betrieben. Schon der Weg zum Baumkronenpfad führt die Besucher vorbei am Hauptgebäude, das sich wie ein Schloss ausbreitet. Angeschlagene Scheiben oder leere Fensterhöhlen, der Putz abgebröckelt, Löcher im Dach, kaputte Jalousien – dass es hier spuken soll, kann man sich gut vorstellen.
60 Gebäude stehen auf dem 200 Hektar großen Gelände. Betreten darf man sie nicht, aber es werden Führungen angeboten, teilweise auch in die Häuser hinein.

Mitten im Gelände steht dann der 36 Meter hohe Turm aus Stahl, mit dem Fahrstuhl kommt man zur Aussichtsplattform. Der Blick ist überwältigend. In der Ferne sieht man winzig einige Türme in Berlin, außen herum mehrere Windparks und gerade um die jetzige Jahreszeit nur Grün in allen Richtungen. Besonders das Krankenhausgelände ist interessant: Der Blick auf die einzelnen Bereiche wird zwar von vielen Bäumen verstellt, trotzdem bekommt man einen Eindruck von der Weite der Anlage.

Die eigentliche Attraktion ist jedoch der Baumkronenpfad. Zu dem steigt man die Treppe bis auf 23 Meter Höhe herab, dann geht es los. Auf über 300 Meter Länge zieht sich der Weg tatsächlich qurch die zahlreichen Baumkronen des Geländes. Oder direkt darüber hinweg. Es ist schwer zu beschreiben, was man fühlt, wenn man sozusagen auf Augenhöhe mit ausgewachsenen Bäumen steht, sie in ihrer Krone berühren kann. Der Baumkronenpfad bringt den Besucher in eine bisher nicht gekannte Weise den Bäumen nahe. Man muss kein ausgesprochener Naturfreak sein, um davon begeistert zu werden.
Aber nicht nur über und durch die Baumwipfel geht man: Der Pfad führt auch an einigen der beschädigten Gebäuden vorbei, am Ende sogar quer hindurch. Auf Höhe eines zerbombten Daches schaut man in die vor Jahrzehnten zerstörten Räume des Sanatoriums, in dem vor 100 Jahren bis zu 1.200 Tuberkolose-Patienten gleichzeitig behandelt wurden. Info-Tafeln klären einen überall auf dem Weg darüber auf, was man gerade sieht, welche Geschichte der jeweilige Ort hat.

An jeder Stelle entdeckt man merkwürdige Dinge, rätselt über die Funktionen bestimmter Gebäudeteile, staunt über die Geschichten. Dass z.B. die Patienten im großen Speisesaal vom Personal eingekreist war, das aufgepasst hat, dass auch alle ihren Teller leer essen, weil es der Genesung diente. Wer das nicht tat, flog raus.
Zu dieser Zeit war 1916 auch der Gefreite Adolf Hitler für zwei Monate als Patient in der Heilstätte, viele Jahre später, 1990, auch Erich Honecker.

Der Baumkronenpfad ist auch für den Besuch mit Kindern geeignet. Nicht ganz Schwindelfreie (wie ich) kommen aber auch klar. Der Besuch kostet für Erwachsene knapp 10 EUR. Man erreicht das Gelände von Berlin aus leicht mit dem Auto oder der Bahn.
Der merkwürdige Name der Website – Baum & Zeit – erklärte sich uns erst nach dem Besuch. Baum – ist klar. Die Zeit: Sie ist hier plastisch greifbar, wenn man sieht, was sie mit der Anlage angestellt hat.
www.baumundzeit.de

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