Night on Earth (2)

Es gibt Tage, an denen fast jeder Fahrgast ein Vogel ist. So war’s auch gestern. Am Fehrbelliner Platz stieg die noch recht junge Lady ins Auto und wollte zu ihrem Freund nach Dahlem. Blöd nur, dass sie seine Adresse nicht wusste, nur: Eine U-Bahn ist dort in der Nähe, und eine Autobahn, die aber nicht ganz nah. Und ein Wildschwein aus Metall. Alles klar, das sprach für die Podbielskiallee, Treffer, zum Dank hätte sie mich fast geküsst. „Das sieht Ihr Freund aber sicher nicht so gerne“, meinte ich, das hat sie überzeugt. Bei meiner anschließenden Fahrt Richtung City überlegte ich, ob dem Freund dieser Besuch so recht war. Immerhin hatte er ihr nicht mal den Straßennamen gesagt.

Wieder am Fehrbelliner gelandet kam bald ein Funkauftrag. In der Wittelsbacherstraße wartete wieder eine junge Frau, sie wollte allerdings von ihrem Freund weg: „Der Arsch!“ Auf der kurzen Tour in die Bundesallee erzählte sie mir die gesamte dreiwöchige Geschichte ihrer Beziehung und darüber wurde sie sentimental. Statt zu bezahlen, sagte sie am Ziel im Befehlston: „Zurück!“ Also drehte ich um und brachte das junge Glück wieder zusammen. So stand ich dann zum dritten Mal am Fehrbelliner Platz, um bald einen Einsteiger zu kriegen. Er musste zum Sophie-Charlotte-Platz, wollte aber über die Autobahn. Nun gibt es sicher die Möglichkeit, in einem großen Bogen dort hinzukommen, wirklich klug ist es jedoch nicht (wenn auch für mich lohnender!). Allerdings hatte kurz vorher ein Kollege durchgesagt, dass die Autobahn Richtung Norden ab HZD dicht ist, deshalb ging es nun doch den einzig sinnvollen Weg entlang: Immer geradeaus. Ein paar Minuten später, als wir am Sophie ankamen, wunderte sich mein Fahrgast über die schnelle Fahrt und den günstigen Preis. Keine Ahnung, wie die Kollegen sonst gefahren sind, aber offenbar nicht über die Brandenburgische.

Dann cruisen, bald fand ich mich am Savignyplatz wieder. Der Funkauftrag schickte mich zu einem Restaurant, das ich von dort öfter anfahre. Diesmal kam aber der Wirt persönlich raus, seinen etwa 14-jährigen Sohn im Schlepptau. „Bringen sie ihn mir gut nach Hause, sonst bringe ich Sie um!“ Uff.
Nicht, dass ich vorgehabt hätte, unterwegs einen Unfall zu bauen oder das Söhnchen auszurauben, aber die Drohung war offenbar ernst gemeint. Der Junge sagte mir auf der Fahrt, dass sein Vater immer sehr streng zu ihm wäre, aber wehe jemand würde seinem Sohn etwas antun. Also fuhr ich extra vorsichtig, um das zarte Geschöpf nicht zu beschädigen und den Vater nicht zum Mörder zu machen.
Danach tat sich leider ewig nichts mehr, alle Halten überfüllt, nur freie Taxis vor mir, keine Leute auf der Straße. Schließlich landete ich am Ostbahnhof, zweiter Wagen und sofort stieg ein Ehepaar ein. In die Kurze Straße wollten sie und bevor sie mir erklären konnten, wo die ist, fragte ich: „In Friedrichsfelde?“. Bingo, sie waren sehr beeindruckt von meiner Ortskenntnis. Dass mein Freund mal in dieser Straße gewohnt hat, verriet ich ihnen nicht ;-)

Ich dachte daran, Feierabend zu machen. Am Radisson winkten mich dann aber zwei junge Männer, Anfang Zwanzig. Ob ich einen Puff kenne, mit vielen Frauen. Klar, Halenseestraße, 20 Minuten entfernt. Sie stiegen ein. Ich sollte aber noch bei einer Apotheke halten, sie bräuchten noch Viagra. Okay, warum nicht, also noch einen Abstecher zum Hauptbahnhof gemacht. Dort dauerte es länger.
Erst verschwand der eine von ihnen in der Apotheke und kehrte nach einigen Minuten zurück: Viagra gibt’s nur auf Rezept, ich sollte doch mal mitkommen, vielleicht könnte ich ja was machen, er kann ja kein Deutsch. Also sind wir zu zweit rein, während sein Kumpel sich auf die Suche nach einer Toilette machte. Auch ich konnte den Apotheker natürlich nicht überzeugen, und auch eine Alternative gab es nicht. Zurück am Taxi warteten wir ewig auf den Freund, irgendwann ging es dann weiter nach Halensee. Auf dem Weg schimpften beide über die bürokratischen Deutschen, die Viagra nur auf Rezept rausrücken und auch noch das Rauchen im Taxi verbieten.

Langsam rollte ich vom Parkplatz, meine beiden Patienten hatte ich eben abgeliefert, nun wollte ich aber schnell nach Hause. Doch nur ein paar Meter weiter fiel mir ein alter Mann auf, der an der Einfahrt zum Bahnhof Westkreuz stand und einen verwirrten Eindruck machte. Ich sprach ihn an, er wollte für 3 Euro nach Tegel. Das ging natürlich nicht, aber ich bot ihm an, ihn privat bis zur Kantstraße mitzunehmen, damit er mit dem Nachtbus weiter konnte. Unterwegs jammerte er viel herum, dass die Schwulen doch alle so unterdrückt würden und alles so schlimm sei. Mit Jammern und Klagen wird man niemals froh, sagte ich ihm, und dass es nicht nur böse Menschen gibt. Man muss aber auch offen sein, es kommt immer auf beide Seiten an. Schließlich fuhr ich ihn bis zum Bahnhof Zoo, weil erst dort Nachtbusse Richtung Norden fahren und er auch auf meinem Heimweg liegt. Meine Fackel blieb gleich aus.

print

3 Kommentare

  1. Wow! Eine Fahrt ganz ohne Ziel… nicht schlecht! Das hätte ich nicht hinbekommen.
    Aber Viagra ohne Rezept ist auch ein netter Versuch :)
    Manchmal scheinen sich die Irren heimlich zu verabreden, um einen Tag die komplette Stadt unsicher zu machen…

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*