Chinesische Lösung

Der 17. April 2009 war ein schwarzer Tag für die Rechte der Bürger. Gleich an zwei Punkten wurde heute die Freiheit des Internets und damit der Bürger weiter beschnitten. Ich gehöre nicht zu denjenigen, die bereits eine neue Diktatur am Horizont auftauchen sehen, aber auch nicht zu jenen Dummköpfen, die jedem Argument der Hochsicherheitspolitikern Glauben schenken. Schon die Vorratsdatenspeicherung, die auf Betreiben des Innenministeriums Anfang 2008 eingeführt wurde, stellt eine vorher kaum vorstellbare Überwachungsmaßnahme statt. Niemand, der heute eine E-Mail verschickt, kann mehr davor sicher sein, dass sie nur vom Empfänger registriert wird. In den vergangenen Jahren sind in der Bundesrepublik soviel Kontrollmaßnahmen eingeführt worden, davon hätte die DDR-Stasi nur träumen können.
Heute nun kam eine weitere, wichtige dazu. In der Bundesrepublik haben die Internet-Verbindungsprovider jetzt die Möglichkeit, im Auftrag der Polizei den Zugang zu bestimmten Internetseiten zu verhindern. Erfahrungen damit hat man bereits in China, wo vor allem regierungskritische Websites gesperrt werden. Hier in Deutschland machen die fünf größten Provider freiwillig mit, Familienministerin Ursula von der Leyen hat ihnen aufgetragen, mit dem Bundeskriminalamt zusammenzuarbeiten. Das BKA verschickt täglich eine neue Liste mit Domains und IP-Adressen, zu denen die Provider dann den Zugang zu sperren haben. Was damit gesperrt wird, entscheidet allein die Polizei, also die Regierung.

Um dieses Vorgehen durchsetzen zu können, bedient sich die Bundesregierung eines Tricks. Sie behauptet, dass es um den Zugang zu Webseiten mit kinderpornografischen Fotos geht und hoffen so auf eine breite Zustimmung. Doch es ist offensichtlich, dass es gar nicht wirklich um den Zugang zu Kinderpornos geht, denn sonst hätte die Regierung einen ganz anderen Schritt gemacht: Schätzungsweise die Hälfte der entsprechenden Seiten liegen auf Servern in Deutschland oder der EU, damit könnten sie direkt abgeschaltet werden – also das Angebot, nicht nur die Verbindung dorthin. Dieser Weg scheint aber zu mühselig, so geht man diesen Weg. Doch es ist ein Witz, denn tatsächlich sind die betreffenden Server mit wenigen Handgriffen trotzdem erreichbar. Wenn nur die Domain gesperrt ist, geht man eben über die IP-Adresse, steht sie ebenfalls auf der Liste, gibt es kleine Umwege. Konsumenten von Kinderpornos dürften keine großen Probleme haben, die Seiten zu erreichen. Solange das eigentliche Angebot in Ruhe gelassen wird, ist der angebliche „Kampf gegen Kinderpornografie“ als Vorwand offensichtlich. Durchgesetzt werden soll stattdessen die Kontrolle über die Verbindungswege, so dass die Regierung und Polizei bestimmen können, was die Internetnutzer sehen – oder besser: NICHT sehen – dürfen. Noch ist das kein großes Problem, aber die Erfahrung lehrt, dass solche Werkzeuge immer auch für andere Zwecke genutzt werden, so wird eine politische Zensur vorbereitet.
Auch bei den „Anti-Terror-Gesetzen“ wurde die Bevölkerung von der Bundesregierung belogen. Angeblich richteten sich die Überwachungsmaßnahmen zur Abwehr gegen islamistischen Terror. Abgehört wird mittlerweile jedoch massenhaft, allein in Berlin waren im vergangenen Jahr 1,1 Millionen Telefongespräche betroffen. Alles potenzielle Attentatsvorbereitungen? Sicher nicht.
Auch als das flächendeckende Autobahn-Mautsystem eingeführt wurde, dienten die Überwachungskameras angeblich nur dazu, den LKW-Verkehr zu überprüfen. Mittlerweile soll die Erkennung der Nummernschilder auch für andere Zwecke genutzt werden, ebenso die Gesichtserkennung. Schon heute ist den Behörden damit ein Bewegungsprofil der Autos möglich, mit der geplanten City-Maut wird die Kontrolle dann auch auf die Städte ausgeweitet. Damit ist dann nachvollziehbar, wann und wo das Fahrzeug unterwegs war.
Sicher sind die einzelnen Maßnahmen immer erklärbar und isoliert für sich nicht so tragisch. Aber es ist die Summe der Überwachungsmöglichkeiten, die einen Staat wie in George Orwells Roman „1984“ schon längst überholt hat. Heute geht es bei den Internet-Zensuraktionen gegen den Kinderporno, doch das wird nicht so bleiben. Wir brauchen nur nach Süden zu schauen, nach Italien, um zu sehen, wie auch eine Demokratie schnell diktatorische Züge annehmen kann. Der dortige Regierungschef Silvio Berlusconi verhindert mit seinen Maßnahmen der Medienkontrolle, dass sich die Bevölkerung frei über andere Parteien und die politische Opposition informieren kann. Gleichzeitig werden die Gesetze so geändert, dass er selbst für kriminelle Taten nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden kann.
Alles was an Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen eingeführt wird, kann sofort auch für politische Zwecke missbraucht werden. Zumal die jetzt beschlossene Regelung nicht mal mehr vorsieht, dass ein Gericht den Zugang zu den betreffenden Webseiten sperrt, sondern es liegt in der Entscheidung des BKAs, und damit der jeweiligen Bundesregierung. Akut besteht in Deutschland nicht die Gefahr, dass eine einzige Partei diktatorisch regiert, weil keine allein stark genug ist. Das kann aber schon in drei oder fünf Jahren wieder anders aussehen. Und dann hat sie starke Werkzeuge in der Hand, die die Freiheit und Privatsphäre der Bürger stark beeinträchtigt.

Unter diesem Gesichtspunkt ist auch das Urteil fatal, das ebenfalls heute in Schweden gegen die vier Betreiber der Internetplattform Pirate Bay gefällt wurde. Sie wurden zu jeweils einem Jahr Haft verurteilt, zusätzlich sollen sie 2,7 Millionen Euro zahlen. Dies nicht etwa, weil sie verbotenes Material auf ihrem Server angeboten hätten, sondern weil sie eine Suchmaschine betrieben, die Material auf anderen Rechnern durchsuchte und auflistete. Zwar ist das Anbieten von Musik, Filmen oder Software in vielen Fällen nicht legal, doch die Anbieter sind eben nicht die Jungs von Pirate Bay, sie haben lediglich Angebote aufgelistet. Das ist etwa so als wenn ich wegen dem Dealen von Drogen verurteilt werden, nur weil ich jemandem gesagt habe, dass er am Kottbusser Tor etwas kaufen kann. Wieder wendet sich die Justiz nicht gegen den eigentlichen Täter, sondern begnügt sich mit jemandem, der weit davor steht.
Auch dieses Urteil ist nicht nur moralisch bedenklich, sondern es kann ebenfalls leicht zur politischen Unterdrückung genutzt werden. Die Justiz darf nun also jemanden schon deshalb verurteilen, weil er gesagt hat, wo man eventuell verbotenes Material findet. Das ist Bestrafung der Mitwisser, eine andere Form der Sippenhaft, denn dadurch kann man verurteilt werden, ohne eine wirkliche Straftat begangen zu haben. Auch hier drängt sich der Vergleich zu Verhältnissen wie in China auf. Der Staat spricht von Demokratie, schafft aber die Werkzeuge der Diktatur.

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3 Kommentare

  1. Diese Zusammenfassung der Vorkommnisse ist so gut geschrieben, das ich sie ausdrucke und jemand in die Hand gebe, der nicht im Net ist. Ich verlier mich gerne im Detail, weil ich mich über jeden Einzelfall total aufrege, so ist dann besser um es rüberzubringen. danke

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