Gut aussehende Männer

Von Frauen hört man ja immer wieder, dass die schönsten Männer meistens schwul sind. Oder merkwürdig. In meiner letzten Nachtschicht hatte ich jedenfalls gleich dreimal das Vergnügen, wirklich sehr gut aussehende Männer zu fahren, alle Mitte Zwanzig und jeweils auf ihre Art irgendwie merkwürdig. Und wenigstens zwei von ihnen waren auch schwul.

Es begann gegen 23 Uhr, ich stand an der Taxihalte Moritzplatz in Kreuzberg. Das wasserstoffblonde Bulimieopfer schwebte ins Auto und wisperte: „Kennen Sie das SO 36?“
„Aber natürlich“, antwortete ich. Es war eine blöde Frage, es gibt in Kreuzberg sicher keinen Taxifahrer, der den Laden nicht kennt. Aber das wusste er vielleicht nicht. Und er glaubte es mir auch nicht.
„Da möchte ich hin. Und jammern Sie mir bitte nicht die Ohren voll, dass es eine zu kurze Strecke ist. Sie haben die Pflicht, mich da hinzufahren, hören Sie?“
„Ich habe nichts dagegen gesagt, wieso unterstellen Sie mir das?“
„Ach, jetzt werden Sie auch noch frech, oder was? Der Kunde ist König, haben Sie das schon mal gehört?“
„Ich bin kein Monarchist.“
„Sie sind mir ja ein ganz Schlauer. Wo fahren Sie überhaupt hin? Ich wollte zum SO 36!“

Tatsächlich war ich bereits losgefahren, hatte den Moritzplatz umkreist und war auf dem halben Weg zum Oranienplatz – also genau auf dem richtigen Weg.
„Das SO 36 ist geradeaus, Oranienstraße 190. Ich weiß schon, wo ich lang fahre.“
„Das stimmt nicht, wir müssen in die andere Richtung. Was machen Sie denn? Das zahle ich nicht, hören Sie!“
Ich hab mich davon nicht beeindrucken lassen und bin geradeaus weitergefahren. Kurz hinter der Adalbertstraße aber rief er: „Halt!“
Er ließ das Fenster runter und rief eine Frau heran, die er offenbar gut kannte. Was sie miteinander besprachen, verstand ich nicht, es war wohl polnisch. Die Dame stieg dann ebenfalls ein und wir fuhren weiter. Am Ziel angekommen war das SO 36 jedoch geschlossen: „Hier ist ja gar nicht los, sagen Sie mal.“
„Dafür kann ich doch nichts“.
„Das hätten Sie mir aber sagen müssen. Erst mich hier hinfahren und dann ist alles zu. So geht es ja wohl auch nicht.“

Jetzt reichte es mir. In ziemlich unfreundlichem Ton drehte ich mich nach hinten und machte ihm klar, dass ich nicht für seine Freizeitplanung verantwortlich sei. Er müsste sich schon selber darum kümmern, wohin er wollte.
Als er gerade tief Luft holte, um wieder zu einer verbalen Explosion auszuholen, reichte mir seine Begleiterin einen Zehner nach vorn, sagte „stimmt so“ und schob den Mann aus dem Auto. Ich war froh, ihn los zu sein.

Eine Stunde später winkte mich ein hübscher junger Mann in engen Hosen auf der Hofjägerallee im Tiergarten, genau auf Höhe der sogenannten Tuntenwiese. Im Sommer sieht man hier manchmal hundert nackte Männer liegen, sicher aber nicht mitten in der Nacht bei unter zehn Grad. Daneben befindet sich das Gay Cruising Areal.
In schlechtem Deutsch gab er mir zu verstehen, dass er in die Bülowstraße wollte. Natürlich hatte ich während der Fahrt die Fenster geschlossen, dadurch roch ich jedoch den intensiven Gestank von Poppers. Das ist eine Chemikalie, die sich manche Männer unter die Nase reiben, wenn sie ihre Geilheit noch verstärken wollen. Bei mir hat es die Wirkung, dass mir davon schlecht wird. Aber egal, es ging ja nur um wenige Minuten Fahrt.
Hinterm Nollendorfplatz wollte ich die Hausnummer in der Bülowstraße wissen, aber was er sagte, verstand ich nicht. Deshalb hielt ich erstmal am Rand. „Hier“, sagte er dann. Ok.
Das Taxameter stand auf 7,10 Euro und er begann, seine Taschen zu durchsuchen. Hose, Hemd, Jacke, Hemd, Jacke innen, Hose. Dann stieg er aus. Zwar machte der Mann einen ziemlich verpeilten Eindruck, ich befürchtete aber nicht, dass er wegrennen wollte. Ich stieg nun ebenfalls aus und kam auf seine Seite. Systematisch durchsuchte er nochmal alle Kleidungsstücke. Aus seiner Jackentasche holte er ein Töpfchen mit Gleitcreme sowie eine kleine Flasche mit dem Poppers. Mehr nicht.
Die Hosentaschen zog er sogar nach außen. Als er sogar seinen Reißverschluss aufmachte, sagte ich, dass das sicher kein Geld drin wäre.
Er schaute mich ziemlich verzweifelt an.

„Sie haben also kein Geld, ja? Und was nun?“
Er zuckte mit den Schultern.
„Wieso winken Sie sich dann ein Taxi?“
„Verloren“, sagte er, „zurück, suchen!“
Natürlich hatte ich keine Lust, ihn nun auch noch zurück in den Tiergarten zu fahren, damit er dort nach seinem Geld suchen könnte. Deswegen die Polizei zu rufen, erschien mir aber auch übertrieben, also verabschiedete ich ihn mit „Good bye“, stieg ins Taxi und trug den Betrag als Fehlfahrt ein. So brauche ich ihn wenigstens nicht abrechnen.

Etwa um 1 Uhr kam dann ein Funkauftrag, ein teures Hotel in der West-City. Der Mann kam mit einem Koffer und einer großen Tasche aus dem Hotel. Sowas ist ungewöhnlich, normalerweise checkt man um diese Zeit nicht aus. Aber während der Fahrt zum Flughafen Tegel erklärte er mir im breitesten US-Südstaaten-Englisch, dass er immer sehr früh am Flughafen sein wolle. Er hätte Angst, im Hotel nicht rechtzeitig geweckt zu werden und deshalb seinen Flug zu verpassen. Außerdem würde er dann immer wieder mal was vergessen, wenn er so hektisch sei. Dann doch lieber so.
Gerade als er das erzählte, klingelte mein Telefon: Die Funkzentrale fragte, ob ich den Herrn Right im Auto hätte. Ich möchte doch bitte zum Hotel zurückfahren, dort liegt noch seine Kreditkarte.
Als ich ihm das erzählte, mussten wir beide sehr lachen. Frühes Losfahren nützt offenbar auch nichts.

Schließlich kamen wir bei 26 Euro am Flughafen an, fünf Stunden vor seinem Abflug. Als ich die Kreditkartenabrechnung machte sagte er: „Ten Euro Tipp!“
Zehn Euro Trinkgeld, weil ich so „nice“ bin, sagte er. Dabei lächelte er so verführerisch, dass ich schon fragen wollte, ob ich nicht mitkommen dürfte.
Ich hab‘s dann aber doch nicht gemacht und fuhr stattdessen zum Feierabend nach Hause.

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