Unehrlich

Es ist ja nicht so, dass mich die Anschläge von Paris vor vier Tagen nicht betroffen machen. Nachdem ich Freitagabend mit einem Freund die letzten Minuten des Fußballspiels gesehen habe und die ersten Meldungen reinkamen, saß ich auch mehrere Stunden vor dem Fernseher und habe Live-Reportagen geschaut und gleichzeitig den Nachrichten-Ticker einer Website.

Doch was in der folgenden Stunden im Netz vor sich ging und in den nächsten Tagen auch in anderen Medien, das finde ich eher peinlich. Mittlerweile ist es ja schon Pflicht, gleich einen Hashtag zu kreieren, in diesem Fall war es #prayforparis – „Bete für Paris“.
Richtig los ging es am Samstag, da wurden weltweit Gebäude in blau-weiß-rot angestrahlt. In Berlin das Brandenburger Tor, albernerweise auch die Bundeszentrale der SPD und der Borsigturm in Tegel. Profilbilder auf Facebook können mit der Trikolore überblendet werden. Und auf der Titelseite der Berliner Zeitung prankt drei Tage nach den Attentaten ein riesiges Peace-Zeichen mit dem Eiffelturm. Mittlerweile sind wir alle nicht mehr nur Charlie, sondern jetzt ganz Paris.

Was ist der Sinn solcher Aktionen? Will man damit ausdrücken, dass man Frankreich jetzt ganz toll findet, weil es dort Anschläge gab? Das hat doch gar keinen Sinn. Weder interessiert es die Terroristen, ob sich jemand mit ihren Opfern solidarisiert, noch ist Frankreich durch die Attentate ein besseres Land geworden. Im Gegenteil: Die Anschläge dienen als Vorwand, mit 20 Bombern in Syrien einzufallen. So wie sich das Land auch schon vorher in Staaten eingemischt hat, die es nichts angehen. Völlig unklar ist mir die Verwendung des Peace-Zeichens in diesem Zusammenhang.

Es sind die 130 Opfer des Terrors, die beklagt werden sollten, nicht das Land Frankeich. Und die sind nicht nur Franzosen. Die Terrorgruppe IS killt auch und vor allem Menschen in Syrien und im Irak, und zwar zu Tausenden! Wo bleiben da die Parolen „Wir sind Syrien“? Stattdessen werden diejenigen, die vor genau diesem Terror nach Europa fliehen, hier jetzt als potenzielle Terroristen bezeichnet. Plötzlich werden wieder Grenzen geschlossen, weil unter den Zehntausenden von Menschen, die eben nicht Opfer des Terrors werden wollen, angeblich auch IS-Leute sein könnten. Als wenn diese die beschwerliche Flucht auf sich nehmen würden, wenn sie sich locker falsche Papiere leisten können und damit einreisen.
Die Opfer aus Syrien und Irak werden zu Verdächtigen, während die in Frankreich geehrt werden. Anscheinend sind westeuropäische Opfer mehr wert, als die arabischen. Was ist das anderes als Rassismus? Dieses Gedenken ist unehrlich und unsolidarisch.
Ich bin jedenfalls nicht Frankreich. Und ich bete auch nicht für Paris, selbst wenn es eine schöne Stadt ist.
Voilá.

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3 Kommentare

  1. Große Zustimmung von mir. Die 1000 Berichte in den Medien kotzen mich auch an. Die Hilflosigkeit wird mit Aggression überspielt. Aber auch in Paris gab es bereits eine 2 Klassengesellschaft im Station.

    Während die prominenten Fußballstars aus Sicherheitsgründen die ganze Nacht im Stadion – in Sicherheit – bleiben mussten/durften, drängte man die Menschen, welche auf das Spielfeld geflohen waren „sanft“ hinaus, obwohl es dort weder übersichtlich noch sicher war. Anschließend lobte man die große Solidarität der französischen Mannschaft, die Nacht auch in den unbequemen Kabinen verbracht zu haben. Was für eine Opferbereitschaft und Solidarität!

    Schon mal über Emigration nachgedacht? Könnte bald nötig werden… Dann sind wir wieder die Flüchtlinge…

  2. wunderschön fand ich die sonnabendausgabe des „berliner kurier“; zu früh gedruckt um etwas aus paris zu berichten, aber auf seite 3 ein kleiner 5zeiler: bombe in beirut, 46 tote und über 200 verletzte

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