Droschken für die Alliierten

 

Das Taxigewerbe in der Nachkriegszeit
In den letzten Tagen des „totalen Krieges“, als in der Belle-Alliance-Straße (heute Mehringdamm) das Haus der Berliner Taxi-Innung abbrannte, lagen auch die meisten Droschken längst unter Schutt und Asche. Überlebt hatten nur einige Veteranen-Fahrzeuge, die zum Kriegseinsatz untauglich waren. Die Rote Armee requirierte sie nachträglich. Wer das Glück auf seiner Seite wusste, konnte die eigene Taxe vorerst versteckt halten, bis sich die Verhältnisse wieder halbwegs normalisierten.
Im Dezember 1946, längst war die ehemalige Reichshauptstadt in vier Sektoren aufgeteilt, erlebten die verbliebenen Fahrzeuge ein großartiges Droschken-Comeback: Der US-Major Maurice Ball gründete für Amis, die keinen Jeep zur Verfügung hatten, die „Berlin Taxi Corporation“, kurz „Taxi-Bal“ genannt.

„Die Amerikaner hatten wegen ihres guten Solds und der übrigen Schätze in Form von Zigaretten, Kaffee und anderer begehrter Genuss- und Lebensmittel sofort das Prä in Berlin und damit bei den Frauen. Zum Glück ist unsere Stadt sehr groß, und die Bräute waren über die ganze Stadt verteilt, genau wie die Schwarzmärkte, und außerdem gehörte nicht jedem GI ein Jeep. Aus diesem Engpass des Transportproblems für fußkranke Amis mit dicken Brieftaschen konnte nur ein aus der Heimat gewohntes Taxi herausführten“, erinnert sich Heinz Peters, ehemaliger Vorsitzender der Innung des Berliner Taxigewerbes, an die Gründung der „Berlin Taxi Corporation“.
Bezahlt wurden die Taxi-Bal-Fahrten (die Bezeichnung für Taxi setzte sich damit an die Stelle des bis zum Ende des Krieges gebräuchlichen Wortes „Droschke“) in harten Dollars, was für die Devisenkasse Berlins einen lukrativen Faktor darstellte. Die „Verwaltung für Wirtschaft des Vereinigten Wirtschaftsgebietes“ sprach in einem Schreiben vom 11. Februar 1949 an Taxi-Bal, Berlin-Steglitz, Albrechtstraße 60b, sogar schon wieder vom „Wiederaufbau der deutschen Fremdenverkehrswirtschaft“. Im Dezember 1948 überschritt die Gesamteinnahme 500.000 Dollar!
Trotz Währungsreform und Blockade fuhren die Taxi-Baler in fünf Jahren von 1947 bis 1951 mit 28.107.328 Kilometern einen Betrag von 1.513.037 Dollar ein.
Zu Beginn seiner Existenz litt der Taxi-Bal stark unter Benzinmangel, der sich erst 1948, nach der Währungsreform kurzfristig legte – um sich bei der nachfolgenden Blockade erneut hemmend auszuwirken. Ab 1949 lieferte nicht mehr die Army den Sprit, sondern der Bedarf wurde voll von Esso gedeckt, konnte also frei erfolgen. Im übrigen verschoben auch die Rotarmisten regelmäßig ganze Benzinfässer im Tausch gegen begehrte Westwaren.
Längst hatte sich von Berlin aus die Idee des „Export-Taxi-Dienstes“ über die gesamte amerikanische Besatzungszone ausgebreitet – die Taxi-Tickets galten im fünften Jahr der „ET-Corporation“ in 85 deutschen Städten.
Mit der Zeit verbesserte sich auch der Fuhrpark. 1948 kamen erstmals ein VW-Brezelkäfer an der Spree zum Einsatz – zweitürige Taxen waren nicht selten. Neben Daimler-Benz lagen gut im Taxengeschäft: Opel (Olympia und Kapitän) und die Borgward-Gruppe (Hansa 1500/1800 und Goliath GP 700).
Taxi-Service wurde rund um die Uhr geboten – eine kurze Stadtrundfahrt im „Taxi-Bal-Cab“ für 3-4 Passagiere kostete 3 Dollar 25. Die Abrechnung erfolgte in Coupons, die der Taxi-Bal bei der Außenhandelskasse der „Bank deutscher Länder“ in Mark wechselte.

Auch die Russen gründeten ein Taxigeschäft – die 150 Wagen gehörten einer von der UdSSR kontrollierten Aktiengesellschaft. Vor dem Schlesischen Bahnhof oder dem hell erleuchteten „Intourist“ parkten die Vehikel mit ihren kyrillischen Kennzeichen. Nur Sowjetsoldaten durften sie zunächst nutzen; sie zahlten für den Kilometer 80 Pfennig, für die Wartestunde 5 Mark. Benzin und Öl wurden von der sowjetischen Militärverwaltung gestellt. Die Fahrten wurden mit deutschem Geld bezahlt.
Nicht weniger erfolgreich hatten die Briten in ihrem Sektor einen Taxidienst ins Leben gerufen. Die Einsatzzentrale im „Hotel am Zoo“ am vornehmen Kurfürstendamm arbeitete eng zusammen mit einer Privatfirma in Schmargendorf, die allen 32 fabrikneue Volkswagen vom „Taxi-Service West“ erhielt. Die Käfer wurden mit grün-roten Erkennungsschildern versehen und fuhren mit deutschem Treibstoff. Den Fahrpreis berechneten die Engländer auf Marktbasis, 31 Pfennig pro Kilometer. Da die Tommies mit großzügigen „Tipps“ zu sparen pflegten, genoss ihr Taxi-Unternehmen eher bescheidenes Ansehen bei den Berliner Droschkenkutschern.
Ihren Gästen aus aller Welt stellten die Engländer ihren Fuhrpark nur gegen „harte“ Valuta zur Verfügung und kassierten dafür Pfunde, Dollars, Gulden und Schweizer Franken. Sie bezeichneten dieses Devisengeschäft als „sehr gut“. Einzig und allein die inflationären französischen Francs wurden nicht angenommen.

Taxen für die Besatzungsmächte gab es. Was aber machte der Berliner, der es eilig hatte? Ein Bericht des Tagesspiegels vom 10. Januar 1949 gibt Auskunft:
„Die öffentlichen Beförderungsmittel dürften ihm kaum genügen. Befindet er sich in der Kurfürstendammgegend, ist es für ihn ein Leichtes, zu einer Taxe zu kommen. Am Bahnhof Zoo, in der Augsburger, Leibniz-, Schlüter- und Giesebrechtstraße stehen sie und warten nur darauf, dass jemand einsteigt. So eine ’schwarze‘ Taxe kann man äußerlich nicht als solche erkennen, aber alle Privatwagen, die dort warten, sind Taxen. Eine DM-West kostet der Kilometer, und die Wagen sind zu jeder Tages- und Nachtzeit bereit, zu fahren. Die Polizei kann angeblich nichts dagegen tun, denn alle Fahrer haben ein Gewerbe als Fuhrunternehmer, und wer will sie daran hindern, am Kudamm auf einen Kunden zu warten, der gerade etwas besorgt?“
Die Schwarzfahrer bekamen jedoch im Frühjahr 1949 legale Konkurrenz. 1949 durfte auch Otto Normalverbraucher erstmals wieder „Hallo Taxi!“ rufen. 519 „freie Taxen“ nahmen bis Ende Oktober den Betrieb für die Berliner Bevölkerung auf. Als Nr. 1 bekam Taxichauffeur Bruno Winniger den schwarzen Stempel vom Kraftverkehrsamt.
„Hals- und Beinbruch zum Premierenstart“, stand mit Zuckergusslettern auf der Schokoladentorte, die der Versicherungsverein dem glücklichen Winniger überreichte. Frisch überholt, mit elfenbeinfarbenem Streifen, stand der Citroen vor der Haustür. Wenniger war kein Neuling in seinem Gewerbe, schon von 1926 bis 1940 saß er auf dem Bock.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war Wenniger arbeitslos. „Trotzdem hatten wir Schwierigkeiten, die Zulassung als Taxi-Unternehmer zu bekommen“, berichtet Frau Winniger fünfunddreißig Jahre später. „Schon im März 1949, als der Wagen fertig da stand, hatte mein Mann sich gemeldet. Was die Behörden alles haben wollten! Fragebogen, amtsärztliches Attest, Führungszeugnis und alte und neue Autopapiere. Außerdem musste der Wagen zur Technischen Prüfstelle. Damals schleppten Kollegen die Taxe ab, weil wir noch keinen Polizeistempel auf den Wagen bekamen.“
Bruno Winniger wartete mit seiner Taxe hauptsächlich in der Nähe des Kurfürstendamms. Es ging ums Überleben im Taxigeschäft – schließlich hatte die Überholung des Wagens stolze 2.200 D-Mark gekostet. Bei 50 Pfennig Grundgebühr sprang die Taxameteruhr der Firma Kienzle an und sorgte dafür, dass der vorgeschriebene Fahrpreis nicht überschritten wurde. Alle 115 Meter erhöhte sich die Rechnung im „einen Sechser“ (fünf Pfennig).
Drei Jahre später tickerte das geeichte Zählwerk in Bruno Winnigers viersitziger Citroen-Limousine, bis er sich im Juni 1952 zu einem Neukauf entschied: Ein VW-Käfer mit vier Türen!

Ulrich Kubisch
Aus: TAXI – Auf den Spuren des mobilen Gewerbes
(Transit-Verlag, 1984)

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